Prof. Gerhard: Kraft aus der Wurzel

Dr. Gerhards, seit 1989 Professor für Liturgiewissenschaft an der Uni Bonn; Forschungsschwerpunkte Liturgie und interreligiöser Dialog zwischen Judentum und Christentum.

„Wir sind doch alle im geistigen Sinne Semiten" sagte Papst Pius XI.im Jahr 1938. Doch erst das Zweite Vatikanum (1962-1965) klärte das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zum Judentum, indem es die dauernde Verwiesenheit auf Israel anerkannte, von dem die Kirche die Offenbarung empfangen hat (Nostra Aetate 4).
Zweifellos verdanken die Christen der jüdischen Wurzel unendlich viel: Die Grundstruktur des Kirchenjahres, der Wochenrhythmus, die Verkündungs- und Gebetstexte der hebräischen Bibel, die Grundformen der liturgischen Feiern und vieles andere mehr sind ohne das Judentum nicht zu denken. Dennoch sind die Ursprungsbeziehungen beider Religionen nicht im Sinne einer einzigen Stromrichtung zu verstehen.
Nach neueren Erkenntnissen entstanden die heute bekannten liturgischen Traditionen der Juden und Christen in einem Jahrhunderte währenden Prozess dynamischer Interaktion, also durch Reagieren auf den anderen, teils in Abwehr, teils in mehr oder weniger freiwilliger Übernahme. Dies betrifft in besonderer Weise die Feier von Pessach bzw. Ostern, da hier der Konflikt und die Identitätsbildung durch gegenseitige Abgrenzung aufgrund der gemeinsamen Wurzeln eskalierte.
Der Blick auf die komplizierte Ursprungssituation kann heute dazu beitragen, bei aller Verschiedenheit den verbindenden Glauben an den Rettung schenkenden GOTT zu bestärken und sich gemeinsam für eine Welt nach Seinem Willen einzusetzen.

Weitere Informationen: Erneuerung kirchlichen Lebens aus dem Gottesdienst. Beiträge zur Reform der Liturgie, Kohlhammer Stuttgart 2012; und ein Vortrag der von Bibel-TV ausgestrahlt wurde und auf youtube zu sehen ist: https://www.youtube.com/watch?v=70Fo1lF-AgU