"Das Kind ist nicht abrichtfähig"

Waldniel (c) @Böhlau Verlag
Waldniel
Datum:
Donnerstag, 21. Februar 2019 19:00 - 21:00
Ort:
Vortrag
Bettrather Str. 22
Haus der Regionen MG/HS
41061 Mönchengladbach
www.gcjz-mg.de
Andreas Kinast, Jahrgang 1965, Sparkassenbetriebswirt, in der historischen Forschung und Öffentlichkeitsarbeit tätig mit den Schwerpunkten NS-Psychatrie in der Rheinprovinz, hier "Kinderfachabteilungen".

„Meldung gemäß Runderlaß des Reichministers des Inneren vom 18.8.1939 ist erfolgt“ – mit diesem Zitat beginnt der Autor Andreas Kinast seine Studie über die „Kinderfachabteilung“ Waldniel; eine Formel, die in der Zeit des Nationalsozialismus vielfach unter Untersuchungsberichten der Rheinischen Landesklinik für Jugendpsychiatrie in Bonn zu finden war und die das Schicksal etlicher Kinder in jener Zeit besiegelt hat. „Das Kind ist nicht abrichtfähig“, so lautete oftmals die Diagnose, mit der die Ermordung geistig und körperlich behinderter Kinder begründet wurde.


Andreas Kinast, der, eigenen Angaben zufolge, eher zufällig auf die Reste der ehemaligen „Kinderfachabteilung Waldniel“ gestoßen ist, interessierte sich zunächst ausschließlich für die tristen und zerfallenen Gebäude, in denen ursprünglich das St. Josefsheim der Franziskanerbrüder untergebracht war. Diese hatte er in der Zeit seines beruflich bedingten Pendelns zwischen Krefeld und Waldniel stets im Blick und wollte mehr über ihren Hintergrund erfahren. Die Aussagen befragter Anwohner über die „dunkle Vergangenheit“ des Gebäudekomplexes während der NS-Zeit und die Erkenntnis, dass es keine brauchbaren Werke über sie zu geben schien, veranlasste Kinast zu weiteren, intensiveren Recherchearbeiten, dann v.a. über die „Nutzung“ der Gebäude als „Heil- und Pflegeanstalt“ zwischen 1941 und 1943. Aber kaum einer der dort lebenden und arbeitenden Menschen schien genaue Kenntnisse über den Gebäudekomplex zu haben. Diese Tatsache schürte den Forscherdrang des gelernten Betriebswirtes, tiefer in die Geschichte, die mit diesem Gebäudekomplex verbunden ist, vorzudringen, als dies irgendjemand bis zu diesem Zeitpunkt getan hatte – alle Forschenden vor ihm hatten bei den Gerichtsurteilen aus dem Düsseldorfer Euthanasie-Prozess ihre Arbeit beendet.

Für sein Projekt wertete Kinast nicht nur Quellen aus diversen Archiven aus, z.B. dem Archiv des Landschaftsverbands Rheinland, dem Archiv der Klinik Uchtspringe, der Zentralstelle des Bundesarchivs in Ludwigsburg, den Rheinischen Kliniken Bonn, dem Bundesarchiv Berlin, sondern führte auch Interviews mit einer ehemaligen Pflegerin und einer ehemaligen Sekretärin der „Kinderfachabteilung“, mit Angehörigen, deren Kind in Waldniel getötet worden war, sowie den Angehörigen der Pflegerin Luise Müllender. Die Angehörigen anderer Verantwortlicher waren nicht zu Gesprächen bereit.

Kinast verfolgte das Ziel, die „Ereignisse der Jahre 1941 – 1943 in Waldniel [...] umfassend und auf möglichst breiter Basis“ zu beschreiben. Sein Hauptaugenmerk lag dabei auf den betroffenen Menschen: „Hierbei hatte ich den Anspruch, ein klares Bild der Täter und ihrer Vorgesetzten zu zeichnen und das Leid der Opfer und deren Angehöriger zu veranschaulichen.“Die Geschehnisse an jenem Ort sollten nicht in Vergessenheit geraten. „Sollte dieses Buch überdies noch einen Beitrag dazu leisten können, dass mehr Menschen sich an diese Verbrechen erinnern, dann zollen wir heute den Opfern zumindest ein wenig von dem Respekt, den man damals vor dem Wert ihres Lebens nicht hatte.“